Können Menschen mit zunehmendem Alter schlechter lernen?

Es ist ein altes Klischee, das besagt, dass Menschen mit zunehmendem Alter nicht mehr so gut lernen können wie Kinder oder junge Menschen. Damit werde ich als Trainerin immer wieder konfrontiert und schon lange stellt sich mir die Frage, ob das wirklich zutreffend ist, oder ob wir mit zunehmendem Alter schlicht anders lernen, eventuell langsamer aber deswegen doch nicht schlechter?

Immerhin haben wir mit zunehmendem Alter ja den Vorteil, dass wir einen großen Erfahrungsschatz haben und dies ja das Lernen von Neuem begünstigen sollte. So wie es leichter wird, neue Sprachen zu lernen, wenn man bereits eine Fremdsprache gelernt hat. Zu dem sachbezogenen Erfahrungsschatz kommt ja die Lernerfahrung an sich, sprich die Erinnerung daran, welche Lernstrategien erfolgreich waren und wie man sich am besten neues Wissen erschließen kann. Die Kernfragen zur Erörterung des Themas müssen also lauten:

Welche Rolle spielt Erfahrung beim Lernen?
Gibt es einen Zeitpunkt im Leben, an dem es einfach zu spät ist, etwas Neues zu lernen, oder behindert uns dieser Glaubenssatz und es ginge einfach darum, die richtigen Methoden und Zugänge zum Lernen für jede Altersphase zu finden?

1.1 Lernen und Erfahrung

Schauen wir uns zunächst die erste Frage an: Wie hängt eigentlich Lernen mit Erfahrung zusammen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Praxis?
Es ist wichtig für den Menschen, aus seinen früheren Erfahrungen zu lernen. Damit dies geschehen kann, braucht der Mensch sein Gedächtnis, welches ihm dabei hilft, vergangene Erfahrungen für die Zukunft zu verwerten. Dabei sprechen wir, je nachdem, ob es darum geht, verbales Wissen oder Verhaltensweisen zu lernen, von Wissens- oder Verhaltensgedächtnis (vgl. Koch 2020, S. 6). Bezogen auf das Lernen können wir unterscheiden zwischen implizitem, also unbewusstem oder intentionalen Lernen, und explizitem, also bewusstem und zielgerichtetem Lernen. Dabei ist es auffällig, dass das implizite Lernen, also das Ausprobieren von verschiedenen Dingen ohne klare Zielvorstellung, Kindern viel leichter fällt als Erwachsenen. Da Erwachsene aber schon auf viel mehr Erfahrung in den verschiedensten Bereichen zurückgreifen können, lernen sie nicht so linear wie Kinder, sondern viel flexibler, je nach Vorerfahrungen. Dabei sind jedoch einschlägige Erfahrungen keine unbedingte Garantie dafür, dass Lernen leichter fällt,

da durch die Erfahrung bestimmte Prozesse, Muster und Abläufe in uns gespeichert sind, die beim Lernen von Neuem nicht unbedingt immer hilfreich sind. Wenn jemand zum Beispiel früher Geige gespielt hat, ist unklar, ob die eingeübten Bewegungsabläufe und die Koordinationsfähigkeit ihm auch für das Klavierspielen hilfreich sind, da dabei ganz neue Bewegungsabläufe “verinnerlicht” werden müssen (vgl. Schnurr 2010, S.3) Es zeigt sich also, dass gewonnene Erfahrungen keine unbedingte Garantie für besseres Lernen darstellen und dass Lernprozesse bei Erwachsenen oder Senior*innen auf Basis von allem, was sie an Erfahrungen mitbringen, schlicht flexibler ablaufen können und viel individueller sind als bei Kindern.

1.2 Lernen im höheren Alter

Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass Lernen in jeder Altersstufe möglich ist, auch wenn sich die Form und der Lernverlauf deutlich vom Lernen im Kindesalter unterscheiden können. Nicht umsonst finden Konzepte zu lebenslangem Lernen in unserer Gesellschaft immer mehr Anklang, wenngleich Lernen an sich auch immer noch weitgehend sehr negativ konnotiert ist, da damit hauptsächlich Schulerfahrungen und Zwang in Zusammenhang gebracht werden.

Bedingt durch die demografische Entwicklung haben wir in unserer Gesellschaft immer mehr ältere Menschen (vgl. Spitzer/Herschkowitz 2020, S. 66). Sprechen wir nun vom Lernen in Bezug auf Senior*innen, müssen wir zwischen gesundem und krankem Altern unterscheiden. So gibt es ernsthafte Erkrankungen wie etwa die Demenz, die sich auf das Denken und Lernen auswirken (vgl. ebd., S. 66). Obwohl unsere Gesellschaft, so wie auch wir selbst, immer älter wird, ist das Alter nicht besonders gut angesehen, da die negativen Seiten und vor allem alles, was nicht mehr so leicht möglich ist, hauptsächlich Betonung finden. Bezogen auf das Lernen lässt sich jedoch sagen, dass das Gehirn von seiner Neugierde lebt und zum Lernen gemacht ist, was sich auch im hohen Alter nicht ändert und auch dann nicht, wenn andere körperlichen Funktionen nachlassen. Das Gehirn hört nie auf, sich an das anzupassen, was wir erleben. Diese Anpassungsleistung nennt man Plastizität (vgl. ebd., S. 67).

Da sich im Alter aufgrund der vielen Erlebnisse, auf die man schon zurückblicken kann, die Erfahrungen und mit ihnen auch das Gehirn entsprechend verändert haben, steht hier nicht mehr so sehr das didaktische Lernen im Vordergrund, sondern eher ein Lernen im Alltag. Es geht also vorrangig darum, Lernprozesse an die altersbedingten Veränderungen anzupassen (vgl. ebd. S. 68).

1.3 Rahmenbedingungen für Lernen im Alter und zur Unterstützung von gesunden Alterungsprozessen

Manfred Spitzer und Norbert Herschkowitz fassen derartige Anpassungsleistungen am Beispiel eines Pianisten, der noch bis ins hohe Alter Konzerte gegeben habt, unter folgenden 3 Punkten zusammen:

  • ●  Selektion: Eventuell ist es nicht mehr möglich, alles zu machen, was früher kein Problem darstellte, sondern die Notwendigkeit ist gegeben, sich auf bestimmte Dinge zu beschränken
  • ●  Optimierung: Aufgrund der oben angesprochenen Beschränkung ist es möglich, das noch Vorhandene zu optimieren und daran zu feilen
  • ●  Kompensation: Aufgrund der körperlichen Einschränkungen ist es vielleicht nicht mehr möglich, alles genau so schnell zu machen wie früher. Deshalb ist es wichtig, anstatt sich selber unter Druck zu setzen, zu überlegen, ob rundherum etwas verändert werden kann, um das Ziel dennoch zu erreichen (vgl. Spitzer/Herschkowitz, S. 68ff).

An dieser Stelle geben die beiden auch noch einmal zu bedenken, dass Alterungsprozesse hochgradig individuell ablaufen und sich Menschen im Alter häufiger und deutlicher unterscheiden als beispielsweise kleine Kinder. Ein großer Unterschied besteht dabei auch darin, wie das Altern selbst erlebt und angenommen wird (vgl. ebd., S. 68 ff). Der Umgang mit und gleichermaßen Respekt vor dieser Individualität stellt meiner Ansicht nach für die Organisation von Trainings für die Altersgruppe der Senior*innen eine zentrale Herausforderung dar. Deshalb ist es hier von noch größerer Bedeutung, direkt am Erfahrungsschatz der Teilnehmer*innen anzuknüpfen, anstatt ihnen Inhalte und Methoden vorzugeben und überzustülpen. Ich glaube, dass genau dies in unserer Gesellschaft häufig passiert, nämlich dass die zunehmende Einschränkung von körperlichen Fähigkeiten mit einem Nicht-Vorhandensein von freiem Willen gleichgesetzt wird und die Individualität dieser Altersgruppe keine Beachtung findet.

Ziel eines Kreativitätstrainings in diesem Bereich muss es also sein, an dieser Individualität und an dem Erfahrungsschatz der Senior*innen anzuknüpfen, ihre Ressourcen zu betonen und ihren Alterungsprozess positiv zu unterstützen. Dass gerade Kreativität dafür einen zentralen Beitrag leisten kann, belegen mehrere Studien. So zeigt sich, dass Senior*innen, die regelmäßig kreativ tätig waren, seltener zum Arzt gingen, weniger Medikamente brauchten und sich insgesamt gesünder fühlten. Außerdem stärkt die kreative Beschäftigung das Selbstvertrauen und vermindert das Vorkommen von Depressionen. Darüber hinaus stärkt es die geistige und mentale Gesundheit und kann dazu beitragen, chronische Schmerzen zu lindern, indem es den Fokus auf andere Gefühle umleitet. (vgl. Klindt 2020).

Manfred Spitzer und Norbert Herschkowitz nennen dazu noch einige Einflussfaktoren, die sich günstig auf das Alter auswirken. Dazu gehören insbesondere regelmäßige Bewegung, Musik bzw. Musizieren und Gemeinschaft (vgl. Spitzer/Herschkowitz, S. 76ff).

Quellen: 

  • Bernatzky, Günther/Presch, Michaela (2010): Musik und Gedächtnis. In: Schloffer, Helga/Prang, Ellen/Frick-Salzmann, Annemarie (2010): Gedächtnistraining. Theoretische und praktische Grundlagen, Springer Medizin Verlag: Heidelberg
  • Klindt, Kai (2020): Warum Kreativität gesund ist. Senioren Ratgeber: https://m.senioren- ratgeber.de/Psyche/Warum-Kreativitaet-gesund-ist-529973.html, recherchiert am 3.12.2020
  • Schnurr, Eva Maria (2010): Lernen im Alter. Unser neues Körpergefühl. Zeit online: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/01/Forschung-Lernen, recherchiert am 28.11.2020
  • Spitzer, Manfred/Herschkowitz, Norbert: Wie wir denken und Lernen. Ein faszinierender Einblick in das Gehirn von Erwachsenen. mvg Verlag: München

Auszug der Facharbeit von Birgit Hohlbrugger, Kreativitätstrainerin i.A.u.S.

 

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